Die App mit dem Geist hatte 2016 ihren ersten Höhepunkt erreicht. Was in den Vereinigten Staaten seinen Anfang nahm, schwappte auch endlich zu uns herüber. Immer mehr Unternehmen und Organisationen beteiligen sich nun auch und betreiben Marketing auf Snapchat.
Doch genau wie bei anderen Online-Formaten gilt auch bei Snapchat: Einfaches Umwidmen von Print- oder TV-Reklamen bringt keine Punkte. Snapchat ist jung, anarchisch und total anders – und keiner über 25 soll es verstehen. Wirklich?
Snapchat war keine Erfolgsserie
Die beiden Harvard-Studenten Evan Spiegel und Robert Murphy erfanden Snapchat 2011 – damals noch unter einem anderen Namen. Die ersten Jahre liefen durchwachsen und erst über mehrere Ecken wurde die App zum Erfolg: Die beiden Entwickler hatten einen Bekannten, dessen Tochter von Snapchat gehört und es an ihrer Schule verbreitet hatte. Bis dahin kroch Snapchat vor sich hin und beide Erfinder hatten ihren Fokus schon wieder in andere Richtungen gelenkt, doch dann kam der langsame und dann rasant schnelle Erfolg: Besonders bei Jugendlichen und Teens wurde die App fast über Nacht verdammt beliebt.
Bis 2014 hat sich die Nachfrage derart gesteigert, dass Snapchat mehrmals neue Server anschaffen musste, um die damals mehr als 700 Millionen Snaps pro Monat zu verarbeiten, die erstellt, bearbeitet und gesendet wurden.
Mit Stand September 2016 sind weltweit etwa 150 Mio. Nutzer täglich bei Snapchat. Davon produzieren täglich etwa 60 Prozent der Nutzer eigene Videos und Aufnahmen. Etwa 50 Prozent der Snapper sind unter 25 Jahre alt (damit sind auch etwa die Hälfte aller Snapchat-Nutzer über 25 Jahre alt).
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista
Das Snapchat betreibende Unternehmen Snap, Inc. ist bis heute wirtschaftlich unabhängig, obwohl Großkonzerne wie Facebook, Google & Co. bereits Offerten tätigten. Doch wie funktioniert eigentlich Snapchat?
So funktioniert Snapchat
Snapchat ist eine App für’s Smartphone – zurzeit für die Betriebssysteme Android und iOS. Es gibt keine Webversion. Snapchat funktioniert nur auf Smartphones und Nutzer können es auch nur dort einsehen. In der App kann ein Nutzer maximal zehnsekündige Fotos oder Videoaufnahmen erstellen. Die sogenannten Snaps können Sie dann mit virtuellen Stickern bekleben, mit Filtern bearbeiten und verzerren oder unbearbeitet bei Snapchat hochladen. Sie können auch mehrere Snaps zu einer sogenannten Story zusammenfassen. Doch egal ob Snap oder Story: Das Material ist maximal 24 Stunden bei Snapchat (exklusiv und nur bei Snapchat, es gibt noch keine Drittanbieter-Dienste) abrufbar. Danach werden die Snaps gelöscht bzw. sind für die Nutzer nicht mehr abrufbar.
Videobeispiel einer Snapchat-Story
Dadurch ist Snapchat sehr kurzlebig. Studien haben bereits herausgefunden, dass Snapchat-Nutzer aufmerksamer konsumieren, weil sie um die Vergänglichkeit der Inhalte wissen. Das können natürlich Werbe-Unternehmen nutzen, denn Snapchat monetarisiert seinen Dienst immer stärker.
Organisationen können Snapchat aber auch aktiv für ihre Öffentlichkeitsarbeit nutzen (u.a. da die Werbeplätze zurzeit noch extrem teuer sind und sich nur Großkonzerne einen Platz im Discover-Bereich oder für spezielle Geofilter leisten können).
Einen Regenbogen kotzen – mit Albernheiten wurde Snapchat populär. Aber genau das spricht auch an. Ist anders und ungewöhnlich. (Bild CC BY 2.0)
Mit der Zeit wurden immer mehr Unternehmen auf Snapchat aufmerksam, die auf der App werben wollten. Eine App, die jeden Tag von so vielen Menschen genutzt wird, ist schließlich eine optimale Marketing-Plattform. Viele Firmen präsentieren bereits ihre Dienste und Produkte auf Snapchat. So wird eine jüngere Zielgruppe mühelos erreicht.
Das hat auch viele Unternehmen und Branchen angesprochen, die Snapchat inzwischen aktiv für ihr Marketing einsetzen. Wo sich soziale Netzwerke wie Facebook erst neuen Nischen und Branchen öffnen musste, spricht Snapchat von Anfang jeden an, der die App benutzen möchte.
Snapchat – Einsatzmöglichkeiten für Unternehmen
Noch ist Snapchat in einer extrem frühen Stufe. Es gibt kaum Monetarisierungs- oder Werbemöglichkeiten, Analytics-Funktionen sind rudimentär und die App ist sehr insular aufgebaut. Wer seinen oder ihren Kanal bewerben will, muss über andere soziale Medien gehen.
Snapcodes sind die einzige Möglichkeit, den eigenen Kanal außerhalb der App zu bewerben. (Bild CC BY-ND 4.0)
Den eigenen Auftritt bei Snapchat zu bewerben, ist schwierig. Snapcodes bieten hier noch die beste Möglichkeit: Ein dem QR-Code ähnliches Bildmuster, das man mit der Snapchat-App abscannen kann, um einen neuen Snapchat-Kanal zu entdecken.
Snapchat hat keine Anbindungen an andere Apps und ist über das normale Internet auch nicht erreichbar. Es bildet ein proprietäres System und ein geschlossenes Netz. Dennoch oder gerade deswegen ist es überaus erfolgreich und zählt bereits jetzt in Deutschland zu den Top 10 vieler App-Listen – besonders unter Jugendlichen (U30-Generation).
Weitere Infos sowie ein ausführliches Interview mit der Snapchat-Verantwortlichen der Stadt München, Sabine Sikorski, findet sich in der Snapchat-Ausgabe beim Podcast #Onlinegeister:
5 Organisationen und ihre PR über Snapchat
1. Medien & Presse: Pro7 und FUNK
Besonders Medienschaffende springen früh auf neue Trends auf. Gerade der TV-Sender Pro7 hat sich hier früh positioniert. Bekannte Moderatoren, Stars oder Gäste übernehmen regelmäßig für 24 Stunden das Snapchat-Profil des Senders. Diese sogenannten Takeover sind integraler Bestandteil von Snapchat und helfen dabei, neue Nutzer für den eigenen Kanal zu beschaffen.
Trailer für die weltweit erste Snapchat-Soap: iam.serafina.
Ein spannendes Medienprojekt war die im Oktober 2016 für zwei Wochen laufende Teenie-Seifenoper iam.serafina, die über das neue öffentlich-rechtliche Jugendformat FUNK gesendet wurde. In einer Pseudo-Selbstdokumentation verfolgen die Zuschauer die Irrwege der 19-jährigen Serafina im Echtzeitverlauf von 14 Tagen.
Die neunzehnjährige Schauspielerin Serafina Bolengo vermischt mit ihren Mitdarstellern dabei Realität mit Fiktion, um eine Social-Media-Serie zu schaffen. Bolengo veröffentlicht Fotos, Videos und Fragerunden, in denen sie ihren Seriencharakter spielt.
2. Großkonzerne: Lufthansa und Deutsche Bahn
Deutschlands wohl bekannteste Fluggesellschaft, die Lufthansa, hatte 2016 mit der Eurovision-Songcontest-Siegerin Lena Meyer-Landrut einen Takeover organisiert. Meyer-Landrut berichtete für die Lufthansa von ihrem Tripp nach Tokio. Gleichzeitig übergibt die Lufthansa regelmäßig den Snapchat-Account an die Flugbegleiter einzelner Maschinen oder berichtet von der Steward/-ess-Ausbildung usw.
Die Deutsche Bahn betreibt über ihr Jugendportal draufabfahren auch ein eigenes Snapchat-Konto.
3. Einzelhandel: REWE
Auch das Karriereportal der Lebensmittelkette Rewe setzt seit Anfang 2016 als Kommunikationskanal auf Snapchat. Häufig berichten die Azubis des Unternehmens. Rewe nutzt das, um sich als attraktiver Arbeitgeber bei der jungen Zielgruppe zu positionieren.
4. Politik
Auch Politiker, Parteien und Verwaltungen sind seit einiger Zeit bei Snapchat sehr aktiv. Der Hamburger Wahlbeobachter hat hier eine recht ausführliche Liste zusammengetragen.
Viele Organisationen sind bei Snapchat: unter anderem auch das Europa-Parlament und viele Landesverbände einzelner Parteien. Snapchat wird vor allem für Live-Übertragungen, kurze Einblicke in den geschäftigen Alltag oder auch für Fragerunden benutzt.
5. KMUs: Philipp Steuer und andere
Auch kleine oder Einzelunternehmer können Snapchat erfolgreich einsetzen. Besonders eignet sich die Plattform hier für Nutzer, die Snapchat zur Informierung und Aufklärung nutzen wollen.
Philipp Steuer, inzwischen die graue Eminenz der deutschen Snapchat-Szene, hat mit dem Buch „Snap Me If You Can“ einen Guide für alle geschrieben, die mit Snapchat nur wenig anfangen können.
Andere nutzen Snapchat für Tutorials, Anleitungen und als Ratgeber. Online-Anwalt und Rechtsbelehrung-Podcaster Thomas Schwenke erklärt rechtliche Zusammenhänge zu Impressumsrecht, Datenschutz und anderen Themen. Schrift-Architekt und Onlinegeister-Podcaster Christian Allner nutzt es für Tutorials zu seinen Seminaren und Online-Themen. Richard Gutjahr und Gary Vaynerchuk nutzen Snapchat für Einblicke in ihren Lebens- und Arbeitsalltag.
In Deutschland ist Snapchat noch ein Nischen-Thema, aber kann auch für kleine und mittlere Unternehmen eine spannende Möglichkeit sein, sich zu präsentieren und zu zeigen, dass sie in den neuen Medien aktiv sind.
Fazit: Snapchat optimal für indirektes Marketing
Sowohl Großkonzerne wie Lufthansa oder DB als auch REWE nutzen Snapchat mit seiner jungen Zielgruppe für Recruiting-Maßnahmen. KMUs verwenden sie als Tagebuch, für Einblicke in den Berufsalltag oder für Tutorials, um damit praktische Tipps zu geben.
Eindeutig ist, dass Snapchat nur indirekt der Werbung dient. Die Unternehmen und Organisationen präsentieren sich und ihren Alltag und stellen über diese authentisch anmutenden Methoden Vertrautheit her.
Genau so sollte Snapchat auch verwendet werden.